Samstag, 4. Juni 2016

Gaucks Nachfolger gesucht

Im Frühjahr des folgenden Jahres läuft die Amtszeit von Bundespräsident Joachim Gauck aus. Selbst die klassischen Spekulationsmedien wie die BILD halten sich mit Mutmaßungen zurück. Lediglich die offensichtlichsten Kandidaten werden genannt: Frank-Walter Steinmeier auf Seiten der SPD und Norbert Lammert auf Seiten der CDU/CSU-Fraktion. Winfried Kretschmann wird standesgemäß für jedes zu vergebene Amt als Kandidat gehandelt. 

In der Öffentlichkeit soll der Bundespräsident seine Meinung nicht in einer Häufigkeit verkünden, wie die Politiker der 2. Reihe es in den kurzen Tagesschau-Interviews gerne tun würden. Viel mehr soll er Denkanstöße geben, ohne sich zu sehr einzumischen. Ausgehend von diesem Leitsatz wäre Lammert wohl der passendste aller Kandidaten. Schließlich hat er bereits das zweithöchste Amt des Staates inne und kann sich in herausragendem Maße diplomatisch ausdrücken. Er besitzt eine gute Redekunst und hat in der Öffentlichkeit wenige Äußerungen zur Tagespolitik getätigt. Außerdem hat er auch bereits das gewisse Alter erreicht, was beinahe alle Bundespräsidenten der jüngeren Zeit hatten (die wenig ruhmreiche Ära des Christian Wulffs mal ausgenommen). 
Steinmeier hat als Außenminister ebenfalls gute Voraussetzungen. Seine ausgezeichnete Reputation würde sicherlich dazu führen, dass seine Ernennung international positiv aufgefasst wird.

In der Praxis richtet sich die Wahl jedoch weniger nach logischen Aspekten aus, als nach den Stimmenmehrheiten und dem Parteibuch der Kandidaten. Die exakten Stimmenverhältnisse in der Bundesversammlung stehen noch nicht fest, da in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin noch die turnusmäßige Wahl der Landesparlamente ansteht. Momentan gehören ungefähr 44 % der Sitze der CDU/CSU-Fraktion. Die SPD steht bei 31,5 %. Weitere 11,5 % gehören den Grünen. Doch auch die 2,1 % der FDP könnten noch bedeutend werden. 

Die Wahl des Bundespräsidenten wird in maximal drei Wahlgängen stattfinden. Im ersten und zweiten Wahlgang ist jeweils eine Mehrheit nötig. Der dritte Wahlgang wird vom Bewerber mit den meisten Stimmen gewonnen. Da bei den anstehenden Wahlen der Landesparlamente erneut Stimmverluste bei den sogenannten etablierten Parteien zu Lasten der AfD zu erwarten sind, wird aller Voraussicht nach keine der Parteien eine Mehrheit in der Bundesversammlung besitzen. 
Selbst wenn die Union und die FDP, beziehungsweise die SPD und die Grünen sich einen Kandidaten teilen, werden keine Mehrheitsverhältnisse entstehen, weshalb vieles auf den dritten Wahlgang hindeutet. Das könnte nur verhindert werden, indem die Union und die Grünen oder die Union und die SPD sich auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen können. Letzteres scheint aufgrund der andauernden Anspannungen der „Großen Koalition“ für unwahrscheinlich. Schließlich wäre es ein deutliches Signal für die Fortsetzung der Koalition bei den nächsten Bundestagswahlen. Das man sich mit den Grünen einigen kann, ist jedoch auch nicht unbedingt wahrscheinlicher. 

Da es also vermutlich auf den dritten Wahlgang hinauslaufen wird, werden die anstehenden Wahlen umso wichtiger. SPD und Grüne kommen schließlich momentan je nach Rechenweise auf 542-545 Sitze, wärend die Union und die FDP 587-588 Sitze besitzen. Wenn die 96 Stimmen der Linken nur zur Hälfte auf den SPD-Kandidaten entfallen sollten, könnte es auch im dritten Wahlgang um jede Stimme gehen. Auch Abweichler spielen dabei natürlich eine große Rolle. Ein neuer „Heide-Mord“ könnte so auch Politikern der zweiten Reihe außerhalb ihres zehnsekündigen Tagesschau-Interviews zur Netzpolitik Berühmtheit verschaffen.